Auf dieser Seite geben wir Antwort auf häufige Fragen zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener.
Der funktionale Analphabetismus wird in der „Level-One-Studie“ (leo) der Universität Hamburg von 2011 so definiert, dass eine Person zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben kann, nicht jedoch zusammenhängende Texte, auch keine kürzeren. Betroffene Personen sind entsprechend nicht in der Lage am gesellschaftlichen Leben in angemessener Form teilzuhaben. So misslingt auch bei einfachen Beschäftigungen das Lesen schriftlicher Arbeitsanweisungen.
Die genannte „Leo-One-Studie“ hat erstmals ergeben, dass in Deutschland 14,5 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren von diesem Problem betroffen sind, damit 7,5 Millionen Männer und Frauen. Berechnet auf Baden-Württemberg trifft dies damit auf eine Million Erwachsene zu. Diese Größenordnung bei den funktionalen Analphabeten hat sehr überrascht, ist aber 2013 bestätigt und sogar noch übertroffen worden durch die PIAAC-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Analphabetismus im engeren Sinne betrifft mehr als 4 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung.
Die Ursachen für funktionalen Analphabetismus sind vielschichtig. In der Grundschule fallen die Kinder durch Entwicklungsstörungen, Sprachstörungen, Konzentrationsschwäche und Kommunikationsprobleme auf. Diese negativen Ausprägungen werden durch das Verhalten der Eltern, durch Herabsetzung und Geringschätzung der Leistungen des Kindes begünstigt. Das führt letztlich zu einem negativen Selbstbild und auch dazu, dass die in der Schule erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im Laufe der Jahre wieder vergessen werden.
Nein. Während die Ursachen für Analphabetismus in der Biografie zu finden sind, gehen die Probleme bei Legasthenie ursächlich auf Erbfaktoren und auf Hirnreifungsstörungen zurück, sind also biologischer Art. Die Lese-Rechtschreibeschwäche wird von der Weltgesundheitsorganisation als eine Entwicklungsstörung des Gehirns definiert. Nach der Leo-Studie sind nur 6 Prozent der funktionalen Analphabeten als Kinder oder Jugendliche als „Legastheniker“ diagnostiziert.
Vorurteile werden von der Wissenschaft nicht bestätigt. Die kognitiven Fähigkeiten funktionaler Analphabeten liegen in der Regel auf dem Durchschnittsniveau der Bevölkerung, teilweise eher darüber als darunter.
Nein, ein solcher Schluss ist falsch. Von den 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten haben 4,4 Millionen (58 Prozent) Deutsch als Erstsprache gelernt. Daraus folgt auch, dass hier ein Problem entstanden ist, das seine Wurzeln in Deutschland hat und nicht importiert worden ist.
Das aktuelle Problem der Flüchtlinge ist hier bislang noch nicht einbezogen. Es liegt aber auf der Hand, dass angesichts der großen Zahl an Betroffenen - Schätzungen gehen von 10 bis 20 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge aus - eine neue Dimension in Deutschland und Baden-Württemberg entstehen wird. Derzeit werden neue Konzeptionen ausgearbeitet, um diese Problematik angehen zu können.
Laut Leo-Studie steigt der Anteil funktionaler Analphabeten mit dem Alter an. Etwa 13 Prozent sind in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen zu finden, rund 15 Prozent unter den 30- bis 49-Jährigen sowie rund 16 Prozent in der Gruppe der 50- bis 64-jährigen Männer und Frauen.
Entgegen vielen Vorurteilen sind funktionale Analphabeten nicht mehrheitlich arbeitslos und ausgegrenzt. Die Leo-Studie sieht 57 Prozent als erwerbstätig, aber lediglich 17 Prozent als arbeitslos an. Die anderen sind: erwerbsunfähig (2,3 Prozent), Hausfrau oder Hausmann (10,1 Prozent), Rentner (6,3 Prozent). In Ausbildung (6,5 Prozent) und Sonstiges (1,2 Prozent).
Umgekehrt betrachtet sind 12,4 Prozent der Erwerbstätigen und 31,9 Prozent der Arbeitslosen funktionale Analphabeten.
Der Begriff der Grundbildung geht über die reine Alphabetisierung, also Lesen und Schreiben, hinaus und schließt die Alltagspraxis der Menschen mit ein, vor allem in Hinblick auf Rechnen, Gesundheit, Computerfähigkeiten, Englischkenntnisse, ökonomische Fragen, aber auch kulturelle und politische Bildung. Hier geht es darum, die Interessen der Lernenden einzubeziehen und somit auch die Motivation für eine Verbesserung der eigenen Fähigkeiten zu erhöhen.
Bei der arbeitsplatzorientierten Grundbildung werden Fähigkeiten aus dem Kompetenzbereich des jeweiligen Betriebes erlernt, etwa die Fachsprache, das Erstellen von Dokumentationen, die jeweilige Kommunikation. Das Gelernte kann nach den Kursen sofort bei der täglichen Arbeit angewandt werden. Damit steigt die Motivation für die Lernenden und auch die Betriebe haben einen Vorteil von den Kursen. Voraussetzung ist dabei vor allem eine enge Absprache zwischen den Unternehmen und den Trägern über die Kursinhalte. Am Anfang steht aber bei allen Grundbildungsbereichen je nach Fähigkeit der einzelnen Personen das Lesen und Schreiben.
Ein Erfolg bei der arbeitsplatzorientierten Grundbildung setzt aber voraus, dass die Betriebe die betroffenen Arbeitnehmer direkt unterstützen, so dass beispielsweise die Kurse in der Arbeitszeit abgehalten werden können. Zudem sollten die Unternehmen Ansprechpartner für die Kursträger zur Verfügung stellen, mit denen die Kurszeiten etwa im Schichtbetrieb abgesprochen werden können. Sinnvoll ist auch, dass Vertrauensleute in den Betrieben an Betroffene herangehen können, um sie für Lernprojekte zu motivieren. Ein Beispiel ist hierfür das Mento-Projekt des DGB.
In Politik und Gesellschaft sind vor allem nach Bekanntwerden der Leo-Studie erhebliche Anstrengungen unternommen worden, um des Problems Herr zu werden. Bund und Länder haben die sogenannte Nationale Strategie zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener ins Leben gerufen, die 2012 bis 2015 umgesetzt wurde. Die Länder erklären darin ihre Bereitschaft, sich gemeinsam mit dem Bund und weiteren Paktpartnern aktiv an der Bekämpfung des funktionalen Analphabetismus zu beteiligen. Diese Nationale Strategie ist im September 2015 in eine neue "Dekade zur Alphabetisierung und Grundbildung" überführt worden. Die neue Landeskampagne versteht sich entsprechend auch als Teil dieser nationalen Dekade.
Die baden-württembergische Landesregierung startete erste Bemühungen 2010, die besonders auf den Empfehlungen der Enquetekommission des Landtags "Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft" basierten. Gefördert wurden demnach innovative Methoden, mit denen die Beteiligung beispielsweise von Menschen ohne Schulabschluss an der Weiterbildung erhöht werden kann. Als Ergebnis sind in Mannheim und Stuttgart neue Grundbildungszentren entstanden, die die Lernenden über das Lesen und Schreiben hinaus mit grundlegenden Kompetenzen vertraut machen.
Die grün-rote Landesregierung hat zum einen die Weiterbildung ab 2012 durch einen Anstieg der Grundförderung für die Träger erheblich ausgebaut, wodurch sie auch die Alphabetisierung vorantreiben können. Zum anderen wurde die Alphabetisierung auch direkt gefördert, als das erste Impulsprogramm im Umfang von 200.000 Euro zu neuen Alphabetisierungskursen bei 27 Weiterbildungsträgern führte. Das Folgeprogramm umfasste 2014 einen Umfang von 175.000 Euro für 23 Träger. Diese Bemühungen werden ab 2015 durch eine ESF-Förderung in Höhe von 1,26 Millionen Euro fortgesetzt und verstetigt. Als Zielgruppe sollen in erster Linie Erwerbstätige und in geringerem Maße auch Langzeitarbeitslose unter den funktionalen Analphabeten erreicht werden. In diesem Rahmen ist auch eine neue Fachstelle Alphabetisierung und Grundbildung beim Volkshochschulverband Baden-Württemberg eingerichtet worden.
Das Kultusministerium und der Volkshochschulverband Baden-Württemberg wollen die Fachstelle als landesweiten Ansprechpartner für alle Weiterbildungsträger für Fragen der Alphabetisierung und Grundbildung errichten. Die Fachstelle soll entsprechende Lernangebote entwickeln, um alle wichtigen Zielgruppen insbesondere auch aus der Arbeitswelt adäquat ansprechen zu können. Grundsätzliches Ziel ist, die Zahl der Teilnehmer an den Lernangeboten signifikant zu erhöhen, zunehmende Lernerfolge zu sichern und dadurch die Zahl der Analphabeten insgesamt und vor allem der funktionalen Analphabeten unter den baden-württembergischen Erwerbstätigen zu reduzieren. Die Fachstelle soll darauf hinwirken, die dafür relevanten gesellschaftlichen Akteure in Baden-Württemberg zu aktivieren, zu sensibilisieren und in Netzwerken landesweit, lokal und regional zusammenzuschließen.