Mit dem Zustrom an Flüchtlingen, die in Baden-Württemberg Schutz vor Gewalt und Verfolgung suchen, steigt auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen an den Schulen. Ziel ist es, diese Kinder möglichst schnell im Schulleben zu integrieren, damit sie eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in Frieden und Sicherheit haben. Die Schulen und die Schulverwaltung bemühen sich mit großem Engagement, diesen Kindern und Jugendlichen gute Bildungsangebote zu machen.
Hier sind wichtige Fragen und Antworten zum Unterricht von Flüchtlingskindern zusammengestellt.
Grundsätzliche Fragen
Das Verfahren „2P|Potenzial und Perspektive“ wird seit Oktober 2016 in Baden-Württemberg flächendeckend eingesetzt, und zwar vorrangig in VKL- und VABO-Klassen. Ziel ist es, das ganz individuelle Potenzial jedes Einzelnen sichtbar zu machen und für den weiteren schulischen und beruflichen Lebensweg zu entfalten – und damit Perspektiven aufzuzeigen. Die Potenzialanalyse ist ein webbasiertes Verfahren, das die Lehrkraft dabei unterstützt, neu zugewanderten Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 20 Jahren geeignete Lernangebote zu machen und damit eine individuelle Förderung zu erleichtern.
Weitere Informationen finden Sie auf www.2p-bw.de.
Die Schulpflicht beginnt sechs Monate nach dem Zuzug aus dem Ausland. Sie endet regelmäßig mit Ende des 18. Lebensjahres.
Das Recht zum Besuch einer Schule besteht dagegen von Anfang an, also bereits vor dem Beginn der Pflicht zum Besuch einer Schule.
Diese Unterscheidung soll verhindern, dass Kinder, die unter Umständen traumatisiert sind, sofort nach ihrer Ankunft in Baden-Württemberg mit einer Pflicht überzogen werden. Sie sollen dadurch Zeit erhalten, sich in ihrem neuen Umfeld zu orientieren und die Erlebnisse der Flucht zu verarbeiten. Wenn sie sich zutrauen, schon früher eine Schule zu besuchen, ist dies aber möglich.
Nein, hier besteht kein Unterschied. Die Schulpflicht beginnt sechs Monate nach dem Zuzug und besteht – unabhängig von den Bleibeaussichten - bis zur Erfüllung der Ausreisepflicht.
Die Zeugnisanerkennungsstelle beim Regierungspräsidium Stuttgart ist landesweit zuständig für die Bewertung schulischer Bildungsnachweise aus dem Ausland. Neben der Bewertung allgemein bildender Abschlüsse erfolgt auch eine Bewertung der schulischen Berufsausbildungen, da bei diesen die Berufsausübung nur mit bestimmten Qualifikationen zulässig ist. Die Bearbeitungszeit bei der Anerkennung ausländischer allgemein bildender Abschlüsse beträgt aktuell ca. zwei bis drei Monate.
Bildungsangebote
In den Kommunen werden die Kinder und Jugendlichen in speziellen Klassen unterrichtet. An den allgemein bildenden Schulen sind das Vorbereitungsklassen, an den beruflichen Schulen die VABO-Klassen (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf ohne Deutschkenntnisse). In diesen Klassen werden Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien an die deutsche Sprache so herangeführt, dass sie am regulären Unterricht teilnehmen oder im Anschluss je nach anerkanntem Schulabschluss aus dem Heimatland eine Ausbildung absolvieren oder eine weitere berufliche Vollzeitschule besuchen können.
Im aktuellen Schuljahr sind über 1.950 Vorbereitungs- und 550 VABO-Klassen gebildet worden.
Aktuell besuchen rund 30.800 Schülerinnen und Schüler eine Vorbereitungsklasse und rund 9.500 Schülerinnen und Schüler eine VABO-Klasse.
Die Vorbereitungsklassen unterstützen die Kinder und Jugendlichen dabei, möglichst schnell Deutsch zu lernen, um in den regulären Klassen integriert werden zu können. Neben der Sprache erlernen die Schülerinnen und Schüler auch schulische Techniken und Arbeitsweisen. Fächer des musisch-ästhetischen und technischen Bereichs werden regelmäßig zusammen mit den Schülerinnen und Schüler der Regelklasse besucht. Neben der Vermittlung von Kompetenzen in Landeskunde und Gemeinschaftskunde geht es auch um Demokratiebildung. Das schulische Leben wird so gestaltet, dass gegenseitige Kontakte regelmäßig gepflegt werden können. Die Zusammenarbeit mit Eltern ist für die bestmögliche Förderung von großer Bedeutung.
Der Zeitpunkt der Integration in eine Regelklasse wird von den Lehrkräften mit Zustimmung der Schulleitung flexibel und individuell festgelegt. Die Integration in die Regelklasse ist abhängig von der persönlichen Entwicklung und des pädagogischen Bedarfs der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers. Bei der Integration gibt es vor Ort viele verschiedene Modelle, manche Vorbereitungsklassen kooperieren sehr eng mit den regulären Klassen und die Eingliederung erfolgt schrittweise parallel, etwa im Sport- oder Musikunterricht.
Jugendliche ohne Deutschkenntnisse erhalten an beruflichen Schulen in den VABO-Klassen eine intensive Deutschförderung. Die VABO-Klassen ermöglichen den ausländischen Jugendlichen durch den Spracherwerb und erste berufliche Vorqualifikation einen ersten wichtigen Schritt zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration.
Der Besuch dauert in der Regel ein Schuljahr und zielt darauf ab, dass die Jugendlichen Deutschkompetenzen erwerben – entsprechend der Niveaustufe A2 gemäß des Europäischen Referenzrahmens zum Spracherwerb. Nach Erwerb dieser grundlegenden Deutschkenntnisse können die jungen Migrantinnen und Migranten in einem zweiten Jahr ein reguläres Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf besuchen, um etwa einen dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand zu erwerben. Danach können die Jugendlichen eine duale Ausbildung aufnehmen, oder es steht ihnen der Besuch einer beruflichen Vollzeitschule offen.
Die vor allem im VHS-Bereich angebotenen Integrationskurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden im Jahr 2005 im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes eingeführt. Der Integrationskurs ist eine Maßnahme zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse für Ausländer in Deutschland. Teilnahmeberechtigt sind Ausländer und Spätaussiedler, die einen Aufenthaltstitel in Deutschland vorweisen können.
An zwölf Standorten in Baden-Württemberg ist im September und Oktober 2016 das Projekt „Bildungsjahr für erwachsene Flüchtlinge ohne oder mit geringen Sprach- und Schreibkenntnissen“ (BEF Alpha) gestartet. BEF Alpha richtet sich an geflüchtete Menschen im Alter von 21 bis 35 Jahren. Ziel ist, den Frauen und Männern in Kursen Deutsch beizubringen sowie ihre beruflichen Fertigkeiten zu erkennen und zu fördern. Darüber hinaus werden Grundkenntnisse in der deutschen Politik und Kultur sowie demokratische Werte vermittelt. Grundlage für das Programm ist ein Konzept des Kultusministeriums. Finanziert wird das gesamte Projekt in den Jahren 2016 bis 2020 durch das Bundesbildungsministerium durch die Initiative Bildungsketten mit circa 2,1 Millionen Euro.
Lehrkräftegewinnung & Unterrichtsversorgung
Insgesamt hat die Landesregierung für die Bildung von Flüchtlingskindern in Form von Vorbereitungsklassen (allgemein bildender Bereich) und VABO-Klassen (beruflicher Bereich) ab dem Schuljahr 2014/2015 bis zum aktuellen Schuljahr 2016/2017 zusätzlich 1165 Lehrerstellen geschaffen.
Viele der eingesetzten Lehrkräfte verfügen über eine (Zusatz-)Ausbildung Deutsch als Fremdsprache und/oder über langjährige Erfahrungen in diesem Bereich. Allerdings werden derzeit, aufgrund der stark gestiegenen Zahl der Vorbereitungsklassen, alle geeigneten, zur Verfügung stehenden Bewerber in der Regel befristet, gegebenenfalls auch unbefristet, eingestellt und entsprechend nachqualifizert. Die Fortbildungsangebote in diesem Bereich wurden deshalb ausgeweitet.
Baden-Württemberg hat im Jahr 2016 rund 5.400 Lerhrerinnen und Lehrer unbefristet in den öffentlichen Schuldienst eingestellt. Mit dieser Rekordeinstellung ist die Schulverwaltung an die Grenzen der verfügbaren Bewerber gestoßen. Deshalb wird es immer schwieriger, Personen zu finden, die in Vorbereitungsklassen oder VABO-Klassen eingesetzt werden können.
Insgesamt hat das Land Baden-Württemberg insgesamt 1.165 Stellen für die Beschulung von Flüchtlingen geschaffen. Sofern keine Bewerberinnen und Bewerber mit Lehramtsqualifikationen zur Verfügung stehen, können auch mit sonstigen geeigneten Personen befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden.
Interessierte Bewerberinnen und Bewerber finden auf lehrer-online-bw.de weitere Informationen.
Pensionierte Lehrerinnen und Lehrer sowie Lehrkräfte in Rente, die interessiert daran sind, in Vorbereitungs- bzw. VABO-Klassen zu unterrichten oder eine Vertretung zu übernehmen, stellen im Internet unter www.lobw.de einen Online-Antrag als Vertretungskraft und senden den Belegausdruck an das entsprechende Regierungspräsidium. Weitere Unterlagen sind in der Regel nicht erforderlich. Ansprechpartner und weitere Infos gibt es hier.
Ehrenamtliche oder auch Studierende können aufgrund rechtlicher Bestimmungen keinen regulären Unterricht anbieten. Sie können jedoch mit ergänzenden Bildungs- und Lernangebote die Arbeit der Lehrkräfte unterstützen, etwa durch zusätzliche Sprachförderung, Arbeitsgemeinschaften oder musisch-kulturelle Angebote. Hier bietet das Lehrbeauftragtenprogramm gute Möglichkeiten. Informationen dazu gibt es bei den Staatlichen Schulämtern.
Lehrerausbildung, Lehrerfortbildung und pädagogische Unterstützung
Lehrerfortbildung: Vom Schuljahr 2011/2012 bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 sind im Kontaktstudium "Interkulturelle Bildung - Schwerpunkt Sprachförderung" an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg schulartübergreifend insgesamt 175 Lehrkräfte ausgebildet worden. Diese Lehrkräfte arbeiten mit den Regierungspräsidien und Staatlichen Schulämtern zusammen und bieten Fortbildungen für Lehrkräfte in Vorbereitungsklassen an.
Im Schuljahr 2015/16 wurden durch das Kultusministerium schulartübergreifend 64 Multiplikatoren fortgebildet, die seit dem Schuljahr 2016/17 flächendeckend regionale Fortbildung anbieten, um Lehrkräfte in der Arbeit mit Flüchtlingen umfassend zu unterstützen. Dabei gehen die inhaltlichen Angebote weit über das Thema der Sprachförderung hinaus.
Lehrerausbildung: An den Pädagogischen Hochschulen gibt es flächendeckend Angebote zu "Didaktik und Methodik für Deutsch als Zweitsprache". Für das Grundschullehramt sind diese verbindlich. In den neuen Bachelor-/Masterstudiengängen ab dem Wintersemester 2015/2016 der allgemein bildenden Lehrämter ist in allen Lehrämtern die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache als verbindliche Querschnittskompetenz im Studium verankert, so dass angehende Lehrkräfte über erste Kenntnisse in der Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache verfügen. In den beruflichen BA-MA-Lehramtsstudiengängen gibt es Seminarangebote zum Thema „Deutsch als Fremdsprache“. In der zweiten Phase der Lehrerausbildung gibt es für Referendarinnen und Referendare an beruflichen Seminaren ab 2016 die Möglichkeit, „Deutsch als Fremdsprache“ im Rahmen einer Zusatzausbildung zu belegen.
Die Kinder und Jugendlichen haben bis zu ihrer Ankunft in Baden-Württemberg oft einen schweren Weg hinter sich, der Spuren hinterlassen hat. Viele von ihnen haben in ihrem Heimatland oder auf der Flucht belastende Erfahrungen gemacht. Die neue Situation in Baden-Württemberg ist für die Flüchtlingskinder nicht einfach. Doch auch die Lehrerinnen und Lehrer werden vor besondere Herausforderungen gestellt, viele von ihnen stoßen an ihre persönlichen Grenzen. Das Kultusministerium bietet deshalb Unterstützungsmöglichkeiten für Lehrkräfte an:
- Fortbildungsangebot der Schulpsychologischen Beratungsstellen Fortbildung zum Themenkomplex "Flüchtlinge in der Schule - Umgang mit belasteten Kindern und Jugendlichen". Inhalte der Fortbildung sind u.a. Belastungsreaktionen und Traumata, pädagogisch-psychologische und stabilisierende Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit belasteten Schülerinnen und Schülern sowie die Selbstfürsorge im Schulalltag.
- Supervisionsangebote der Schulpsychologischen Beratungsstellen sowie Einzelberatung von Lehrkräften.
- Handreichung für Lehrkräfte zum Umgang mit belasteten/traumatisierten Kindern/Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien. Die Broschüre möchte für die besondere Situation von Flüchtlingskindern und jugendlichen Flüchtlingen sensibilisieren und enthält praxisnahe Anregungen für die Unterstützung der Integration der Kinder und Jugendlichen. Onlineversion Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge in der Schule (PDF 2MB).
Aufgrund sehr unterschiedlicher Voraussetzungen (Herkunftssprachen, kultureller Hintergrund, individuelle Erfahrungen) müssen sich die Sprachförderung sowie der Unterricht generell flexibel an den konkreten Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientieren. Daher greifen Schulen auf eine Vielzahl von Materialien zurück. Hier einige Beispiele (die Liste soll fortlaufend ergänzt werden):
- Handreichung: Deutsch als Zweitsprache in der Grundschule (PDF, 3 MB).
- Buch „Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprache unserer Schüler“, das das Kultusministerium im Herbst 2014 allen öffentlichen Schulen zur Verfügung gestellt hat.
- Das Kultusministerium stellt allen weiterführenden öffentlichen allgemein bildenden Schulen und beruflichen Schulen in Baden-Württemberg das „Praxismaterial Förderdiagnostik – Werkzeuge für den Sprachunterricht in der Sekundarstufe I“ zur Verfügung. Damit möchte das Kultusministerium die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer bei der Diagnostik und Förderung von Kindern mit Sprachförderbedarf im Deutschunterricht unterstützen. Weitere Informationen finden sich unter www.ph-ludwigsburg.de/praxismaterial.
- Servicematerialien "DaZ-Box für den Einstieg" mit einer Reihe praxistauglicher/-relevanter Materialien für den Unterricht von neuen VKL/VABO-Lehrkräften. Liegt allen Regierungspräsidien und allen Staatlichen Schulämter vor.
- Sammlung von Materialien und Informationen auf dem Landesbildungsserver zu den Themenbereichen Flucht, Flüchtlinge, Flüchtlingsunterricht und traumatisierte Kinder: www.flüchtlinge.schule
- Kostenfreies Lehrwerk „Deutsch-Bausteine - Deutsch für Flüchtlinge“ der Bürgerinitiative refucation.